Die Zukunft Europas hängt vom Kampf zwischen Demokratie und Autokratie ab – das heißt zwischen uns, den EU-Bürgern, und unseren EU-Führungskräften.
Mit der derzeitigen Kapazität hätte die EU gerade noch genug Gas, um bis Ende November zu kommen, warnt Thomas Fazi.
Steht Europa jetzt vor einer neuen Ära des Energiesparens? – stellt die Frage am Anfang seines Artikels von dem Journalisten auf der UnHerd- Seite, der uns auch daran erinnert: Die Stadt Hannover hat kürzlich sehr strenge Energiesparregeln eingeführt, zu denen das Absperren von Warmwasser in öffentlichen Gebäuden, Schwimmbädern, Sportanlagen gehört Hallen und Turnhallen. Darüber hinaus beschloss die Stadtverwaltung, mobile Klimaanlagen, Heizlüfter und Heizkörper zu verbieten, öffentliche Brunnen abzuschalten und die nächtliche Beleuchtung wichtiger Gebäude wie des Rathauses einzustellen.
Und mehrere andere europäische Länder haben sich ebenfalls für Strikturen entschieden. Darüber hinaus werden noch drastischere Maßnahmen erwogen – darunter auch Gaskontrollen für energieintensive Industrien wie Stahl und Landwirtschaft. Diese Maßnahmen sind Teil eines EU-weiten Plans zur Verringerung des Gasbedarfs mit einem unheilvollen Namen
"Let's save gas for a safe winter" und zielt darauf ab, den Gasverbrauch in Europa bis zum nächsten Frühjahr um 15 % zu senken.
Die Preise steigen bereits in den Himmel
Unterdessen hat Russland in den letzten Monaten auch die Menge an Erdgas, die nach Europa fließt, drastisch reduziert, was beispiellose Preise auf den Markt gebracht hat.
Der Marktpreis für Erdgas ist heute zehnmal höher als vor zwei Jahren. Dementsprechend ist auch der Wert von Strom in vielen Ländern gestiegen.
Steigende Energiepreise schüren bereits eine Rekordinflation – die derzeit bei fast 9 Prozent liegt und in der EU weiter ansteigt – was die Kaufkraft der Menschen drückt und Tausende in die Armut drängt, stellt Fazi fest.
All dies betreffe seiner Meinung nach besonders Deutschland, das fast ausschließlich von russischen Gasimporten abhängig sei. Tatsächlich schrumpft die Industrieproduktion des Landes seit mehr als drei Monaten. 16 Prozent der deutschen Industrieunternehmen haben aufgrund steigender Energiepreise ihre Produktion zurückgefahren oder ihre Aktivitäten teilweise eingestellt. Dies erklärt, warum Deutschland im vergangenen Monat als erstes Land seine Gasversorgungswarnung auf „Alarmstufe“ angehoben hat.
Verschlimmert wird die Situation laut Fazi dadurch, dass die jüngste Zinserhöhungsentscheidung der Europäischen Zentralbank die angebotsbedingte Inflation kaum oder gar nicht eindämmen wird, die Wirtschaftstätigkeit aber mit ziemlicher Sicherheit weiter drosseln und erschweren wird für die Staaten.
Es könnte schlimmer sein
Wenn die Situation jetzt als schlecht bezeichnet werden könne, so der Journalist, dann sei es selbstverständlich, dass eine weitere Reduzierung der russischen Gasströme, die immer noch 40 Prozent der Gasimporte der EU ausmachen, völlig katastrophale Folgen hätte, ganz zu schweigen von a komplette Abschaltung. Vor allem, wenn es im Winter passiert, wenn der Gasbedarf am größten ist.
"Energie ist buchstäblich das Lebenselixier der Wirtschaft."
Es hält unsere Häuser beleuchtet und warm (oder kühl), unsere Autos, Industrien, Supermärkte und elektronischen Geräte am Leben. Ohne sie hört die Zivilisation buchstäblich auf, betont er auf der UnHerd- Seite.
Um ein Weltuntergangsszenario zu vermeiden, hat die EU eine Verordnung erlassen, wonach die unterirdischen Gasspeicher in den Mitgliedsstaaten bis Ende Oktober zu mindestens 80 Prozent (derzeit 67 Prozent) ihrer Kapazität gefüllt sein müssen. Dies hängt jedoch von einem stabilen Fluss in den kommenden Monaten ab. Zudem würde selbst das Erreichen des 80-Prozent-Ziels den Ländern nicht ausreichen, um ohne kontinuierliche zusätzliche Gasversorgung den gesamten Winter zu überstehen.
Bei der derzeitigen Kapazität hätte die EU gerade genug Gas, um bis Ende November durchzukommen (vorausgesetzt, der Winter beginnt am 1. Oktober).
EU Kurzsichtigkeit
Insgesamt sei es laut Fazi höchst unwahrscheinlich, dass Europa eine komplette Abschaltung des russischen Gases überleben würde. Also bleibt uns am Ende nichts anderes übrig, als uns auf Putins Wohlwollen zu verlassen, wenn wir den Winter überstehen wollen. Ein „totaler Wirtschafts- und Finanzkrieg“ gegen die atomar bewaffnete Regionalmacht Russland kann gerade deshalb kaum als vernünftiger Schritt angesehen werden, da von Anfang an klar war, dass die Abschnürung der europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen ersterer sehr schaden würde mehr als letzteres - angesichts der Abhängigkeit Europas von russischem Gas.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben dies indirekt anerkannt, als sie russische Öl- und Gasexporte aus dem Sanktionsregime ausnahmen.
Fazi sagt jedoch, dass das Verhalten der europäischen Staats- und Regierungschefs etwas "pathologisch Infantiles" habe:
Während sie es genießen, über die Bühnen der Welt zu stolzieren und grandiose Reden über „Demokratie versus Autokratie“ zu halten, scheinen sie sich der wahren Konsequenzen ihrer Worte nicht bewusst zu sein.
Das russische Versorgungsproblem ist dafür ein perfektes Beispiel. Die EU, die vor dem Krieg rund 40 Prozent ihres Gases aus Russland bezog, hatte zu Beginn des Konflikts angekündigt, die Gasimporte bis Ende des Jahres um zwei Drittel zu drosseln und russisches Gas bis 2027 vollständig zurückzuziehen . In der Tat haben europäische Staats- und Regierungschefs in den letzten sechs Monaten damit geprahlt, dass sie sich selbst „trainiert“ hätten, „Putin dort zu treffen, wo es am meisten wehtut“.
Und doch jammern sie heute über Inflation und steigende Preise – was haben sie erwartet? – und Panik und moralische Empörung erfassten sie, als Gazprom ankündigte, die Gaslieferungen nach Europa einzustellen.
„Benutzt Russland Gasströme als Waffe in seinem Tauziehen mit Europa? Natürlich ja. Aber die Europäer haben dieses Spiel angefangen."
- sagt Fazi, der gleichzeitig die Frage stellt: Vielleicht dachten die europäischen Führer, dass sie einen einseitigen Energiekrieg mit Russland führen könnten, nach ihrem eigenen Tempo und ihren eigenen Bedingungen, und schlossen deshalb russische Öl- und Gasexporte aus dem Sanktionssystem aus ), ohne dass die andere Seite auf sie zurückschießt?
Um die Sache noch grotesker zu machen, hat der „Gaskrieg“ Russland nicht nur nicht geschwächt, sondern scheint es tatsächlich gestärkt zu haben, indem er Russland geholfen hat, seine Devisenreserven aufgrund steigender Energiepreise erheblich zu erhöhen.
„Bei aller Barbarei von Putins Krieg muss gesagt werden, dass die Lebensgrundlagen von Millionen Europäern bereits auf dem Altar der groben Inkompetenz europäischer Führer geopfert wurden.
Und die Lebensgrundlagen von Millionen mehr sind in Gefahr. In einem haben sie jedoch Recht: Die Zukunft Europas hängt vom Kampf zwischen Demokratie und Autokratie ab - also zwischen uns, den Menschen, und ihnen, den Autokraten."
Beitragsbild: Yves Herman, Pool via AP