Die Frage stellen nicht nur ich, sondern auch viele andere Ungarn „da draußen“, insbesondere diejenigen, die seit mehreren Jahrzehnten im westlichen Teil Europas, in Deutschland, leben.

Über lange Jahrzehnte musste die Mehrheit der Ungarn in Deutschland erkennen, dass ihre „ungarische Wahrnehmung“ und Lebensauffassung, ihre Umwelt – und insbesondere – die ehemaligen „westdeutschen“ Bürger sie einfach nicht verstanden. Dieses Unverständnis ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen – allen voran ihre Politiker – mit Verwirrung auf die Politik der aktuellen ungarischen Regierung blickt.

Ich lebe seit fast 40 Jahren in Deutschland, genauer gesagt, seitdem führe ich ein Doppelleben zwischen Deutschland und Ungarn. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft geht es aber nicht nur um das Hin- und Herreisen zwischen den beiden Ländern, sondern auch darum, dass ich zwar häufiger in Deutschland bin, mein Geist und meine Seele aber fast ständig in Ungarn sind. Oder ich könnte sagen, es ist geblieben.

In den ersten Jahrzehnten unseres Aufenthalts versuchten wir, die Nachbarländer Schweiz, Italien, Frankreich und Österreich kennenzulernen und zu bereisen, um dann nach zehn Jahren, irgendwann in den 90er Jahren, auch Luxemburg zu erreichen.

Aber wie kommt Luxemburg hierher?

So hatte ich in diesem kleinen westeuropäischen Fürstentum ein einschneidendes Erlebnis: In der Kirche, in der wir am Sonntag zur Messe gingen, predigte der Priester zu meiner größten Überraschung auf Deutsch, wenn auch im Dialekt.
Da ich den Grund dafür noch nicht verstand, fragte ich nach der Messe die Leute dort, wie das sein konnte? Ich selbst dachte, dass die Fragen, die ich auf Deutsch stellte, nur deshalb auf Deutsch beantwortet wurden, weil sie die Sprache beherrschten. Dann erzählten sie mir lächelnd, dass die Sprache der Menschen dort Luxemburgischdeutsch oder Lëtzebuergesch sei.

Dies war der Moment, in dem ich begann, die Antwort auf die Frage zu erraten, die mich bis heute beschäftigt: Warum verstehen die Deutschen uns Ungarn nicht? Unser Verhalten, unser Habitus und unsere Wahrnehmung der Welt.

Eine ähnliche Erfahrung habe ich in den Niederlanden gemacht, wo man auch eine Sprache spricht, die den sogenannten Norddeutschen viel ähnlicher ist.
es ähnelt eher einem Dialekt des Plattdüütsch als einer eigenständigen Sprache. Dies gilt aber für den deutschen Dialekt der Belgier, das Flämische, für die deutsche Sprache der Schweizer, die sogenannte Schwyzerdütsch, der Dialekt der Österreicher, die Sprache des Fürstentums Liechtenstein, der lokale Dialekt der Südtiroler (Autonome Provinz Bozen) in Italien oder der alemannische Dialekt der Walser in Norditalien und vielleicht sogar die Sprache der Dänen.

Und dass Deutschland, das nach seiner Vereinigung 1989 80 Millionen Einwohner hat, einst aus vielen kleinen Herzogtümern und Königreichen bestand, die jeweils Deutsch sprachen, tatsächlich aber nur einen Dialekt davon.

Jedes „kleine Land“ – von denen das eine oder das andere etwa zur gleichen Zeit wie Ungarn nach Trianon entstand – hatte viele Jahrhunderte lang seine eigene Politik, seine eigenen wirtschaftlichen Ziele, seine eigene Kriegsführung. Und dies bestimmte auch über Generationen hinweg die Lebensweise der dort lebenden Bürger und Bauern.

Jeder kleine Staatsmann hielt seinen eigenen Lebenszweck für den wichtigsten und kümmerte sich praktisch nicht einmal darum, dass auch das benachbarte Fürstentum dieselbe Sprache sprach.

Daher entwickelte sich bei ihnen kein Nationalbewusstsein, weil sie es für selbstverständlich hielten, dass „jeder“ um sie herum die Sprache sprach, die er sprach.

Wenn ein Fürstentum gegen ein anderes in den Krieg zog und Land verlor, änderten sich nur die Herren der dort lebenden Bevölkerung, nicht jedoch deren Sprache. Es mag zu wirtschaftlichen Veränderungen gekommen sein, aber zu keiner wesentlichen Veränderung des nationalen Charakters.

Bei uns Ungarn war das nicht der Fall

Die mittelalterlichen und modernen Kriege wurden nicht zwischen einem unserer Landkreise und einem anderen geführt; Wenn wir einen Krieg hätten, würde er nicht nur einen wirtschaftlichen Wandel mit sich bringen, sondern auch einen nationalen Wandel, der die Sprache, die Kultur und das Verhältnis der Menschen zu ihrer Vergangenheit verändern könnte.

Für die Ungarn wurde es zu einer existenziellen Frage, vereint zu bleiben, denn nur so konnte die sprachliche und kulturelle Unabhängigkeit unseres Volkes sowie dessen Eigenständigkeit gewährleistet werden. Das Überleben.

Was bedeutete die Unabhängigkeit für den deutschen Bürger?

Wenig. Als die Herzogtümer miteinander kämpften, passierte dem Volk nichts anderes als „von Eimer zu Eimer“. Und als am 18. Januar 1871 mit Hilfe von Reichskanzler Bismarck die deutsche Einheit geboren wurde, war ihr politischer Garant die bis dahin bereits entstandene preußische Hegemonie, die dieser „Einheit“ schließlich den Kaiser hinzufügte.

Aber das alles war nicht auf das Aufflammen ihrer patriotischen Gefühle zurückzuführen, denn sie hatten diese nicht – genauso wie die Europäische Union bei ihrer Geburt nicht auf patriotischen Gefühlen aufgebaut war. Beide waren durch wirtschaftliche Zwänge und zunehmende Wettbewerbsfähigkeit motiviert und schufen daher kein einheitliches Nationalbewusstsein, sondern lediglich eine Interessengemeinschaft.

Die als Nachfolger der früheren Fürstentümer entstandenen deutschen Provinzen blieben eigenständige Einheiten mit eigener öffentlicher Verwaltung, eigenem Ministerpräsidenten, eigenem Ministerialapparat und eigenem Schulsystem.

Und als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, geschah dies nicht aus ihrem gemeinsamen Nationalbewusstsein heraus, sondern aus individualistischen Überzeugungen heraus, die bis dahin in fast jedem Mitglied der Bevölkerung tief verwurzelt waren – so entstand das Konzept des „Übermenschen“, also der Überlegenheit einer Person über eine andere, die das Recht begründet, die Söhne einer anderen Nation zu unterdrücken.

Das alles ist dem deutschen Staatsbürger inzwischen entzogen, aber er hat es bis heute nicht geschafft, sich davon „abzustreifen“, dass er sein eigenes Handeln beurteilt und über die Bürger des anderen Volkes urteilt, und dies im „sicheren“ Wissen, das Richtige zu tun, auch diesem anderen aufzwingt und ihn gleichzeitig erzieht. Und von patriotischem Gefühl ist darin keine Spur, nur der Einzelne denkt so.

Deshalb verstehen sie uns Ungarn nicht

Die Deutschen entwickelten zwar ein regionales Selbstverständnis, dieses konnte sich jedoch nicht zu einem nationalen Bewusstsein weiterentwickeln, weshalb sie den Begriff der „nationalen Unabhängigkeit“ auch nicht kennen und nicht kennen können. Seine Freiheit, ja, aber das ist ein völlig anderes Konzept.

Wenn sich die heutige ungarische Regierung, die ihre mehr als tausend Jahre alte Unabhängigkeit behauptet und bewahren will, den Bestrebungen einer Großmacht entgegenstellt, die im 21. Jahrhundert durch die Europäische Union repräsentiert wird, dann schüttelt der deutsche Staatsbürger nur fassungslos den Kopf. Er versteht nicht, dass dieses auf zehn Millionen Menschen geschrumpfte Land seine Existenz und Unabhängigkeit nur dadurch aufrechterhalten konnte, dass es sich von den Unterdrückungstaktiken der Größeren unabhängig machte und ihnen notfalls auch mutig entgegentrat.

Die ungarische Regierung denkt über diese nationale Verantwortung nach. Es genügte, die nationale Tragödie einmal zu erleben, in deren Folge die Ungarn zwei Drittel ihres Territoriums und die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren. Er lebt auf Trian, und die Nation erlebt es noch heute als dramatischen Schicksalsschlag, insbesondere die Ungarn, die dort abgewandert sind.

Trianon brachte etwas anderes als die Thronstreitigkeiten zwischen Hessen und Baden-Württemberg, bei denen vielleicht ein paar tausend Quadratkilometer Land zusammen mit der Bevölkerung an ein anderes Herzogtum gingen, oder sagen wir mal – z.B. Im Fall von Baden-Württemberg und Bayern erfolgte die Übertragung auf ein anderes Königreich. Die Sprache der Menschen blieb dort, ebenso wie ihre Volkslieder, Tänze und Kultur.

Andererseits konnten die Ungarn, die in die Nachbarländer aufgeteilt waren, (auch heute noch!) ihre Sprache nicht frei verwenden, kein Ungarisch lernen und ihre Museen und Theater waren geschlossen.

Das ist der große Unterschied, den die Deutschen nicht verstehen, denn auf die eine oder andere Weise ist fast die Hälfte Europas deutsch. Und ihre Welt wurde nie durch einen kleinen Streit zwischen Prinzen auf den Kopf gestellt.

Das Wichtigste ist schließlich das Gemeinschaftsgefühl! sagen sie belehrend und zeigen mit dem Finger auf uns.

Und sie werden die Ungarn nie verstehen.

Wir können kein Verständnis von einem Volk erwarten, das im Wirrwarr der Geschichte „gesichtslos“ gemacht wurde, für das der Nationalismus zum „Schimpfwort“ degradiert wurde und das verwundert die Augenbrauen hochzieht, wenn den Ungarn, die es beim Singen der ungarischen Nationalhymne singen, die eine oder andere Träne in die Augen tritt.

(TTG)

Ausgewähltes Bild: Bildschirmfoto