– Wie bewerten Sie den Vormarsch der Alternative für Deutschland (AfD)? Ist die Partei immer noch nur in Ostdeutschland beliebt?
- Von den Proteststimmen konnten die beiden in Ostdeutschland beheimateten Formationen AfD und das linke Sahra-Wagenknecht-Bündnis (BSW) profitieren. In den fünf ostdeutschen Bundesländern ist die AfD noch immer die stärkste Basis, im Westen liegt die Unterstützung der Partei an mehreren Orten jedoch bereits bei deutlich über 10 Prozent. Tino Chrupalla und Alice Weidel (Ko-Vorsitzende der AfD – Anm. d. Red.) auch in Bayern 15 Prozent. Die AfD ist in immer mehr Bundesländern relevant und bundesweit die zweitgrößte Kraft. Ähnliches erlebten wir 2017, als die AfD die zweitgrößte Fraktion und größte Oppositionspartei im Bundestag war. Damals begannen die linken Parteien, die Partei, die sie als rechtsextrem bezeichneten, aufzulösen.
– Was könnte, abgesehen von Gewalttaten im Zusammenhang mit Migranten, zu diesem Anstieg geführt haben?
- Eine wichtige Veränderung besteht darin, dass die AfD bei jungen Menschen immer beliebter wird, ähnlich wie Marine Le Pens Partei, der National Compact in Frankreich. Ähnliche Prozesse sind aber auch in Österreich zu beobachten, wo die rechte, einwanderungsfeindliche Freiheitliche Partei (FPÖ) die Wahl am Sonntag gewann. Das Charakteristische an Protestwählern ist, dass sie nicht für etwas stehen, sondern gegen etwas stimmen. Vor fünf Jahren stimmten junge Deutsche für eine andere radikale Klimaaktivistin, Greta Thunberg, jetzt aber für die neue Protestpartei AfD. Hintergrund hierfür sind fehlende soziale Perspektiven, insbesondere die Schwierigkeiten, die erste Wohnung zu bekommen, dies gilt insbesondere in Deutschland oder Italien. Eine interessante Veränderung ist, dass neben der Jugend auch ein großer Teil der Arbeitnehmer die AfD gewählt hat. Zuvor unterstützte diese soziale Gruppe typischerweise einwanderungsfreundliche linke Parteien.
- Markus Söder, Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union (CSU), forderte nach der Europawahl am Sonntag unkomplizierte Neuwahlen. Ist das realistisch, wenn man bedenkt, dass der Termin der nächsten Bundestagswahl bereits im September nächsten Jahres feststeht?
- Söder glaubt wahrscheinlich, dass der Vorsitzende der verbündeten CDU, Friedrich Merz, die Kanzlerschaft „wegnehmen“ wird, und er wird danach nachziehen. Am Sonntag verwies Söder auf Emmanuel Macron, der fast unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse ankündigte, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen in Frankreich auszurufen. Beide deutschen konservativen Parteiführer sind sich auch darüber im Klaren, dass die oben genannten Proteststimmen möglicherweise nicht von Dauer sind, und versuchen daher, daraus politisches Kapital zu schlagen, solange die Unterstützung anhält. Bei den Europawahlen konnte die CDU zwar nicht viel gewinnen, konnte aber weiterhin einen Stimmenanteil von rund 30 Prozent verbuchen. Ihr Ziel könnte sein, dieses Niveau zu halten.
- Ministerpräsident Viktor Orbán sagte schon vor Monaten voraus, dass Europa sich nach rechts wenden würde. Neben Deutschland hat die Rechte ihre Positionen in Österreich, Italien, Belgien, Spanien, Griechenland und Finnland ausgebaut oder gefestigt. Was ist der nächste Schritt?
– Wo es eine linke Regierung gibt, wie in Deutschland oder Spanien, oder eine rechte Regierung mit strenger Politik (wie zum Beispiel in Italien), hat der rechte Flügel bei den Wahlen zum Europäischen Parlament überall an Stärke gewonnen. Ich sehe das Problem darin, dass die Partei von Giorgia Meloni, die Italienischen Brüder (Fratelli d'Italia) oder der von Marine Le Pen geführte Nationale Pakt früher oder später einen Deal mit der EVP abschließen werden, um ihre Positionen im Europäischen Parlament zu festigen. Sie werden weiterhin mit den geschwächten Sozialdemokraten und Liberalen kooperieren und nur in bestimmten Fragen, etwa bei der Migration oder dem Krieg in der Ukraine, Verbündete auf der rechten Seite suchen. In diesem Sinne haben die Menschen vergeblich für Meloni oder Le Pen gestimmt: Um an die Macht zu kommen oder im EP an der Macht zu bleiben, müssen sie mit den Globalisten übereinstimmen.
Quelle: hirado.hu
Titelbild: Marine Le Pen, Präsidentin der französischen rechten Partei Nationale Versöhnung (RN) – MTI/EPA/Stephanie Lecocq