Wie üblich stritten sich die Mitglieder der Ampel-Koalition über den Haushaltsplan für das kommende Jahr. Sollten sie sich nicht einigen, könnte das den Sturz der Regierung und vorgezogene Neuwahlen bedeuten.

Die drei Koalitionsparteien der deutschen Regierung sind noch nicht einmal aus der katastrophalen Niederlage bei der Europawahl (sie gewannen insgesamt 31 Prozent) erwacht, sie müssen schon mit viel mehr rechnen. Während Präsident Macron in Frankreich als Reaktion auf eine ähnlich deprimierende Wahlniederlage die Nationalversammlung auflöste und vorgezogene Neuwahlen ausrief, wurden in Berlin offenbar keine Konsequenzen gezogen und ein Rücktritt nicht diskutiert. Was externe Faktoren jedoch nicht leisten können, kann durch interne Faktoren leicht bewältigt werden:

Die größte Bedrohung für die deutschen Regierungsparteien ist nun die Haushaltsdebatte. Sollte es zu keiner Einigung kommen und die Verhandlungen in einem ähnlichen Skandal wie im vergangenen Jahr oder in der Unfähigkeit, einen Konsens zu erzielen, untergehen, könnte das auch das Schicksal des Scholz-Kabinetts besiegeln.

Auf dem Spiel stehen 40 Milliarden Euro. So viel müssten die Staatsausgaben gekürzt werden, um die klaffende Lücke im Haushalt 2025 zu schließen. Scheitert es, wird die Koalition einen weiteren Streit mit ziemlicher Sicherheit nicht überleben. So denken selbst die Regierungsparteien, zumal sie im vergangenen Jahr nur knapp von den Auswirkungen eines der größten Haushaltsskandale in der Geschichte Deutschlands verschont geblieben sind.

Der Haushalt 2024 wurde vom Bundesverfassungsgericht selbst gesprengt, als es der Regierung untersagte, den Betrieb des Staates durch riesige Kredite, sogenannte Sonderfonds, sicherzustellen. Tatsächlich wurde 2009 (aus Angst vor einer Wiederholung und den Auswirkungen der globalen Krise) eine sogenannte Schuldenbremse in die Verfassung des Landes aufgenommen, die die Verschuldung für eine bestimmte Wirtschaftsperiode auf 0,35 Prozent des BIP maximiert. Eine Ausnahme bilden Notfälle, die sich die Regierung Scholz zunutze machte, indem sie einen 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds für den Ausbau der Streitkräfte schuf oder versuchte, die zerstörerischen Auswirkungen der teilweise selbst verursachten Energiekrise zu beseitigen , mit einem Kredit von rund 200 Milliarden Euro.

Der neuen Entwicklung gefiel der Regierung so gut, dass sie begann, im diesjährigen Haushalt mit diesen Sondermitteln zu spielen – im Umfang von 60 Milliarden Euro. Dieser Trick wurde vom Obersten Gerichtshof zunichte gemacht, als er für verfassungswidrig erklärt wurde, was den verzweifelten Regierungsparteien ein riesiges Loch im Haushalt hinterließ. Und das war der Fall, aus dem das Kabinett offenbar nichts gelernt hat, denn es wird immer noch darüber debattiert, wie und was zum „Notstand“ erklärt werden könnte, um die Schuldenbremse zu überwinden. Andernfalls müssten 40 Milliarden Euro an öffentlichen Ausgaben gekürzt werden, was alle Bereiche empfindlich treffen würde. Die Spitzen von Ministerien und Parteien liefern sich schon jetzt einen Kampf auf Leben und Tod – alle wollen den drastischen Eingriff auf ihre Kosten vermeiden. Eingeschränkter Bewegungsbereich

Die drei Spitzenpolitiker, der Sozialdemokrat Scholz, der Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen und der Freidemokrat Christian Lindner, werden den Haushaltsentwurf voraussichtlich Anfang Juli dem Bundestag vorlegen. Ihr politisches Überleben hängt nicht nur davon ab, ob sie es akzeptieren, sondern auch davon, ob sie es überhaupt schaffen. Etwa die Hälfte des geplanten Budgets von 450 Milliarden Euro sind Sozialausgaben, wenn also die 40-Milliarden-Lücke, die erneut verfassungswidrig war und deshalb aussichtslos mit einem Kredit zu schließen versuchte, auf rechtlichem Wege geschlossen werden soll, dann

Sie müssen das System der öffentlichen Ausgaben grundlegend ändern.

Dafür wäre allerdings eine Einigung nötig, was unwahrscheinlich ist. Grüne und Sozialdemokraten wollen von Kürzungen bei Sozialausgaben, etwa der Rentenversicherung, gar nichts hören und plädieren stattdessen für die Abschaffung der Schuldenbremse. Allerdings beharrt Finanzminister Lindner hartnäckig auf der strengsten Fiskalpolitik und der Schuldenbremse. Die angespannte Lage ist noch nicht gelöst, doch Drohungen, die Koalition zu sprengen, kursieren seit geraumer Zeit zwischen den Parteien.

Jeder hat sein eigenes Steak 

Erschwerend kommt hinzu, dass mit Boris Pistorius, den Sozialdemokraten von Scholz, ein Verteidigungsminister auf den Plan getreten ist, dessen Popularität, ehrlicher Militarismus – und seine Absicht, die Bundeswehr wieder zur größten Kraft Europas zu machen – sind so stark in die Höhe geschnellt, dass viele bereits über ihn als Scholz-Nachfolger nachdenken. Pistorius war derjenige, dessen Ministerium bisher unter großen Schwierigkeiten zustimmte, dass Deutschland der NATO-Empfehlung nachkommen wollte, nämlich zwei Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben bereitzustellen. Das Problem ist, dass der 100-Milliarden-Euro-Kredit, den die Regierung 2022 aufgenommen hat – und der in einigen Jahren ausläuft – auch in die Finanzierung des Aufbaus der Streitkräfte einfließt. Finanzminister Lindner schüttelte nur den Kopf, doch seine Geduld war völlig am Ende, als Pistorius (sogar die Andeutung seines Rücktritts) für sein Ministerium 6,5 Milliarden Euro extra aus dem Haushalt 2025 forderte – und damit die Idee des guten alten Sonderfonds aufgriff. d.h. verfassungswidrige Kreditaufnahme.

Die größte Hilfe erhält der Minister von seiner Kollegin, einer der umstrittensten, aber zweifellos auch unbeholfensten Ministerinnen der Bundesregierung, der Außenministerin der Grünen, Annalena Baerbock, die sagt, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine eine echte Notlage herbeiführt Europa, und auf dieser Grundlage ist die Idee, die Schuldenbremse auszusetzen und Kredite aufzunehmen, berechtigt. Der Finanzminister bleibt jedoch hartnäckig, ebenso wie die FDP. Ihrer Meinung nach werde die Tatsache, dass es in der Ukraine einen Krieg gäbe, keinen Notstand in Deutschland herbeiführen, und egal wie lange Baerbock versuchen könne, die Schuldenbremse aufzuheben, es werde ihm nicht gelingen. Nicht nur, weil für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erforderlich ist, sondern auch, weil niemand, der versucht, mit der Schuldenbremse herumzuspielen, sie jemals bekommen wird.

Trotz scheinbar unlösbarer Widersprüche gelingt es der Regierungskoalition, die für niemanden angenehme Vernunftehe aufrechtzuerhalten. Trotz der Abzugsdrohungen beharren sie darauf, dass der französische Fall in Deutschland nicht passieren könne und von vorab arrangierten Wahlen keine Rede sein dürfe. Gleichzeitig kann niemand eine sinnvolle Antwort darauf geben, was passieren wird, wenn die unaufhaltsame Kanonenkugel der Grünen und der Sozialdemokraten in der Haushaltsdebatte auf die unüberwindbare Mauer der Freien Demokraten trifft.

Makronom

Im Bild: Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Einweihungsfeier der neuen ICE-Hochgeschwindigkeitszugfabrik der Deutschen Bahn in Cottbus am 11. Januar 2024. MTI/EPA/Filip Singer