Der Artikel des Autors wurde auf vasarnap.hu veröffentlicht.

„Wegen öffentlicher Empörung wird der Dostojewski-Kurs an der Universität Mailand-Bicocca doch nicht abgesagt“, lesen wir und könnten fast aufatmen, dass, nun ja, der gesunde Menschenverstand doch überwiegt, sie werden nicht rituell Sünde und Buße verbrennen wegen Putin; außer dass es hier auch andere Neuigkeiten geben würde.

Die heutige Aufführung von Schostakowitschs Operette „Moskau, Tscherjomuski“ (die sich übrigens mit dem Thema Wohnungsnot und Korruption beschäftigt, bisher keine Russlandverherrlichung) wurde im Augsburger Stadttheater abgesagt, ein Stück, das vor wenigen Wochen präsentiert wurde. Übrigens geriet der Komponist zu Stalins Lebzeiten zweimal in Ungnade; er wurde auch gezwungen, öffentliche Buße zu tun, also hat er in solchen Dingen eine Routine.

Etwas weiter entfernt, in Dublin, kann das Royal Moscow Ballet Schwanensee nicht aufführen.

Neben den russischen Tänzern bereist die Truppe, die sich unter anderem aus Ukrainern(!), Iren, Polen und Japanern zusammensetzt, seit Jahren in größtem Frieden und Freundschaft gemeinsam die Welt, und sie haben keinerlei Verbindung zu den Russische Regierung, die nicht einmal Geld von ihr erhält; dennoch sagte das Universitätstheater in Dublin ihren Auftritt in "Solidarität" ab. Vor diesem Hintergrund versteht es sich fast von selbst, dass die Auftritte der dort tourenden russischen Staatstruppe auch in Großbritannien abgesagt wurden – in Northampton konnten die Tänzer aus Sibirien am Freitag noch auftreten, aber weiter Am Samstag wurden sie und das Publikum aufgefordert, nach Hause zu gehen, der Nussknacker wurde aus politischen Gründen abgesagt.

Die Messlatte fällt schwer auf das schlechte Stück, da Tschaikowskys Werk, das sich angeblich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt, wegen des Verdachts auf rassistische Stereotypen zu Weihnachten in Berlin aus dem Programm genommen wurde.

In unserer konservativen (also vermeintlich homophoben) Familie, die die Sowjetunion als solche und die sowjetische Führung nicht ausstehen konnte und sowohl persönlich als auch finanziell ein direktes Opfer der Russkis war, war es auch in den Jahren des Kommunismus völlig selbstverständlich, dass sobald als wir im schulalter waren, sahen wir uns den nussknacker an, ließen ihn tanzen Leninpreisgekrönter gastkünstler in moskau - aber sozialisiert in prosperität außerhalb der sowjetischen interessensphäre, westliche intellektuelle, die vor marx eine statue aufstellten, die sich vorstellte der "gewaltsame Umsturz aller Gesellschaftsordnung" vor ihm, zeigen uns jetzt, wie man den Russen richtig und vorbehaltlos hasst.

Aus diesem Grund wird eine der berühmtesten Opernsängerinnen der Welt, Anna Netrebko, vorerst nicht auf der Bühne stehen: Obwohl sie den Krieg öffentlich verurteilte und sich dabei ausdrücklich auf das Leid ihrer ukrainischen Freunde bezog, so die belgische Intendantin der Bavaria Staatsoper distanziere sie sich "nicht genug" von den Aggressionen, weshalb jegliche künftige Zusammenarbeit mit dem Künstler gekappt werde, der von der New Yorker Metropolitan bereits als unerwünscht eingestuft wurde, weshalb er sich lieber zurückzieht.

Doch im allerletzten Moment hatten es auch blinde Skifahrer mit russischer Staatsbürgerschaft schwer: Sie können ab heute nicht mehr an den Paralympics teilnehmen, auch nicht als neutrale Wettkämpfer ohne jede Nationalfarbe. Wie ein deutscher Spitzensportler nachdrücklich feststellte, seien jetzt keine juristischen Erwägungen gefragt, sondern "moralisch-politische Entscheidungen".

Es ist nicht bekannt, wie viele Tage früher Frieden sein wird und wie viel besser es für die Menschen in der Ukraine sein wird, dass die Ballettmusik der großen russischen Klassiker nicht in Großbritannien gespielt wird, dass die gefeierte Operndiva nicht mehr da ist ihr Leben lang im Münchner Opernhaus den Mund aufmachen kann, oder dass sich kein einziger Para-Skifahrer aus Tatarstan mit einem Beinamputierten in Peking zeigen kann. Fest steht jedoch, dass nach Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder gar der politischen oder sonstigen Überzeugung genauso verboten ist wie eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

So sehr wir also die schändliche russische Invasion verurteilen, die ethnische und ideologische Säuberung, die in Konzertsälen von Wien über Mailand bis Rotterdam tobt, ist leider genau das Gegenteil europäischer Werte, so fürchtet Ungarn, das Thema des "siebten Artikels " und unter Geldstrafe steht, erweist sich in dieser Angelegenheit als verfassungskonformer.

Schon allein, weil Putin laut westlichem Narrativ verrückt geworden ist – woraus direkt folgt, dass wir die Russen nicht zwingen, Putin offen zu beleidigen, damit sie zu Hause nicht versehentlich Ärger bekommen. Zumindest ist es üblich, auch Familienmitglieder vor einem Psychopathen zu schützen, sich nicht von ihnen abzuwenden, weil sie am falschen Ort geboren oder ungeschickt verheiratet wurden.

Jedenfalls, solange die Mitglieder der mondänen, glasbehandschuhten westlichen Elite in friedlichen Konzertsälen finden, ist die einzig „moralisch“ und „politisch“ akzeptable Lösung, einige Menschen für immer unter dem Zeichen der Kollektivschuld auszulöschen und ein Ganzes einzuordnen Menschen als Parias, lasst uns inständig dafür beten, dass aufgeheizte östliche Führer mitten im Krieg in der Lage sein sollten, vernünftig, europäisch und rechtsstaatlich zu denken.

Autorin: Francesca Rivafinoli

Quelle: vasarnap.hu

(Kopfbild: Hans Punz/AFP über Getty Images)