Vergessen wir nicht, dass Ungarn 1989 seine Westgrenzen für freiheitshungrige Ostdeutsche öffnete und jede mögliche sowjetische Vergeltung akzeptierte, da das Land zu diesem Zeitpunkt noch nicht unabhängig war und sowjetische Truppen auf seinem Territorium stationiert waren.

Am 28. Juni 1914 tötete der serbische Terrorist Gavrilo Princip in Sarajevo den Thronfolger der Monarchie, Ferenc Ferdinand, mit einem Pistolenschuss. Die Menschen und Politiker Europas sind beide erleichtert: Der Krieg ist endlich vorbei! István Tisza, Premierminister von Ungarn, teilte dieses erhebende Gefühl nicht. Er nahm sofort den ersten Zug nach Wien, um Kaiser Franz Joseph zu treffen. Forderungen an Serbien, die zu einer Kriegserklärung führen würden, wollte er um jeden Preis verhindern.

Die österreichisch-ungarische Monarchie war ein dualistischer Staat, ein echter Zusammenschluss zweier unabhängiger Staaten, aber gemeinsame Entscheidungen wurden in gemeinsamen Politiken wie Militär- und Außenpolitik getroffen. Wo der König-Kaiser auch residierte, nämlich in Wien. Tisza musste bitter erfahren, dass Berlin in Wien mehr Einfluss hat als Budapest. Die Deutschen wollten den Krieg und der Krieg war nicht zu verhindern.

"Bis die Blätter fallen, werden unsere Soldaten nach Hause zurückkehren." Sie konvertierten nicht. Die ungarischen Truppen kämpften vier Jahre lang und immer an vorderster Front. So sehr, dass keine andere Nation in der Vielvölkermonarchie so schwere Verluste erlitt wie die Ungarn. Und keine andere Nation wurde nach dem Krieg so hart bestraft. Im Süden entstand, genau wie es sich der Terrorist Gavrilo Princip vorgestellt hatte, ein südslawischer Staat, der später Jugoslawien genannt wurde. Hinzu kam die ungarische Südregion.

Im Norden entstand die Tschechoslowakei aus dem ehemaligen Königreich Böhmen und dem Ungarischen Hochland. Im Osten erweiterte sich das Territorium Rumäniens: nicht nur Siebenbürgen, sondern auch Parthium und Banat. Die Rumänen erhielten vom tausendjährigen Königreich Ungarn mehr Territorium, als den Ungarn insgesamt überlassen wurde. Die neu gegründete Republik Österreich distanzierte sich von der Monarchie, beanspruchte und erhielt einen Teil Westungarns, das Őrvidék. Damit endete die halbtausendjährige Herrschaft der Habsburger in Mitteleuropa.

Die Ironie des Schicksals ist, dass keine andere Nation so oft und so vehement gegen die habsburgische Herrschaft protestierte wie die Ungarn. Das ganze Odium des als Völkergefängnis bezeichneten Vielvölkerreichs konnten aber letztlich nur die Ungarn ertragen. Die rechtschaffenden westlichen Sieger zerstückelten nicht nur die für sie überwältigende österreichisch-ungarische Monarchie, sondern verurteilten auch eine tausendjährige europäische Nation mit einem Federstrich zum Tode.

Wenn man das weiß, könnte man meinen, dass zwanzig Jahre später, als der zweite Weltkrieg ausbrach, niemand so glücklich war wie die Ungarn. Aber nicht. Sie wollten Gerechtigkeit, keinen Krieg. Als die Wehrmacht 1939 ungarisches Territorium und ungarische Infrastruktur nutzen wollte, um in Polen einzumarschieren, weigerte sich Ungarn. Stattdessen öffnete es seine Grenzen für polnische Flüchtlinge.

Es beherbergte auch die Überreste der polnischen Armee, die sich später von hier aus den Alliierten anschloss. Das war ein ziemliches Risiko für das Land, aber der Anstand und die jahrtausendealte Freundschaft diktierten es. Die Empörung in Nazi-Deutschland war groß. Die Legende vom „Rosinenpflücker-Ungarn“ war geboren: Die Ungarn sagen Ja zu den für sie günstigen Grenzänderungen (1. und 2. Wiener Beschluss), aber Nein zur Kriegsverwicklung und den Nürnberger Gesetzen. Das wird heute noch gegen uns verwendet, wenn unsere Unabhängigkeit und unsere eigene Interessenvertretung deutsche Pläne stören.

Ein Jahr später fragte die Wehrmacht nicht mehr, sondern fragte nur noch, ob die ungarische Armee mit den Deutschen oder gegen die Deutschen im Krieg gegen Jugoslawien kämpfen wolle. Was für eine Frage! Streit? Was überhaupt? Schließlich begrenzten die Friedensverträge des Ersten Weltkriegs das militärische Potential der Verlierer. Ungarn hielt sich wie ein Gentleman an die Vorschriften, aber Hitler störte das Urteil in seinen imperialen Plänen überhaupt nicht.

Außerdem Jugoslawien mit den Deutschen zu überrennen, mit denen wir um der halben Million dort unter Zwang lebenden Ungarn willen einen ewigen Freundschaftsvertrag geschlossen haben? Hitlers Frage war jedoch theoretisch, eine Ablehnung kam nicht in Frage. Pál Teleki, der ungarische Premierminister, fand jedoch einen Weg, dem Krieg nicht zuzustimmen. In seinem Abschiedsbrief nannte er die deutschen Verbündeten Schurken, das Bündnis zwischen Nazideutschland und Ungarn eine Schande, und schoss sich dann mit seiner Pistole in den Kopf.

Einige Monate später schloss sich ganz Europa zusammen, um die tödliche Bedrohung durch den Bolschewismus zu bekämpfen. So hat zumindest die deutsche Presse den Angriff auf die Sowjetunion, den Barbarossa-Plan, dargestellt. Diese Ansicht war nicht ganz unbegründet: Neben Deutschland beteiligten sich auch Finnland, die Slowakei, Italien, Spanien und Rumänien an den Militäroperationen. Andere Länder wie Belgien, Frankreich, Norwegen oder die Tschechen haben vielleicht nicht ganz souverän, aber mit Waffen geholfen.

Ungarn? Er weigerte sich, in den Krieg einzutreten. Das empörte nicht nur die europäische und deutsche Presse, sondern auch viele Ungarn. So sehr, dass Henrik Werth, der in Deutschland geborene Chef der ungarischen Armee, als einige verirrte sowjetische (?) Flugzeuge Kassa ein paar Wochen später bombardierten, sagte: „Es ist möglich, dass sich das Königreich Ungarn nicht im Krieg mit den Sowjets befindet Union, aber die Armee des Königreichs Ungarn befindet sich sehr im Kriegszustand." Einige Monate später setzte Miklós Horthy Henrik Werth in den Ruhestand und ernannte den bekannten Anti-Nazi Ferenc Szombathelyi zum Stabschef. Aber es war alles zu spät, da kämpfte die ungarische Nationalgarde bereits an der sowjetischen Front.

Vier Jahre später zerfiel dieses europäische Bündnis im Stile Hitlers in einer ordentlichen Reihenfolge: Italien wurde liquidiert, Finnland schloss einen Separatfrieden, Rumänien sprang heraus und der pro-Nazi Tiso wurde in der Slowakei hingerichtet. Nur die Ungarn kämpften: Die letzten Einheiten ergaben sich den Amerikanern in Bayern. Der Mythos von Hitlers letztem Verbündeten war geboren. Ungarn, die schuldige Nation.

Glücklicherweise wurde aus dem Kalten Krieg kein richtiger Krieg. Stattdessen hatten wir 1956 Gulasch und Kommunismus in dieser Kaserne, die vom Westen zur fröhlichsten erklärt wurde. Unsere heutigen Verbündeten zahlten wieder mit uns den Preis, in den 1980er Jahren nutzte die Sowjetunion Ungarn, um an wertvolle Devisen zu kommen.

Die Folge davon war, dass zum Zeitpunkt des Regimewechsels kein Land so hoch verschuldet war wie Ungarn. Nicht nur im Ostblock, sondern auf der ganzen Welt. Ungarn wurde de facto zahlungsunfähig, und damit war der schrittweise Übergang zur Marktwirtschaft unmöglich. Bis 2015 dauerte es fast ein Vierteljahrhundert, bis der Lebensstandard der 1980er-Jahre erreicht war, doch die hohe Verschuldung belastet das Land noch immer.

Vergessen wir in der Zwischenzeit nicht, dass Ungarn 1989 seine Westgrenzen für freiheitshungrige Ostdeutsche öffnete und mögliche sowjetische Erwiderungen akzeptierte, da das Land zu diesem Zeitpunkt noch nicht unabhängig war und sowjetische Truppen auf seinem Territorium stationiert waren. Das Risiko war hoch, alles hätte passieren können. Die Vereinigung des geteilten Deutschlands begann mit unserer Hilfe, und wir erwarteten keinen Dank dafür: Wie immer war es selbstverständlich zu helfen.

Bei der Auflösung der gemeinsamen Nachfolgestaaten haben wir keine Gebietsansprüche geltend gemacht. Wir dachten, die Europäische Gemeinschaft würde Medizin für unsere Wunden bringen. Heute ist Ungarn der Sündenbock für alles, obwohl es in Brüssel nur im Namen der nationalen Souveränität Gerechtigkeit und die Abschaffung der Doppelmoral fordert.

Am 21. Februar 2022 marschierte Russland in der Ukraine ein. Die Ukrainer leisten tapferen Widerstand und die Länder Europas feuern sie an. Sie haben es eilig zu zeigen, wie sehr sie dieses Land unterstützen wollen, über dessen Vergangenheit sie sehr wenig wissen. Sie hoffen, dass der russische Aggressor, Präsident Putin, in den Krieg gerät. Sie diskriminieren die Russen und unterstützen die Ukrainer mit Waffenlieferungen.

Jedes Land, mit einer Ausnahme. Ungarn weigert sich, Waffen zu liefern und erlaubt nicht einmal den Durchgang von Waffenlieferungen. Wie 1939 nimmt es wieder Flüchtlinge in Massen auf, kümmert sich um sie und schützt gleichzeitig die ungarischen Gemeinden jenseits der Grenze. Ungarn ist wie immer auf der Seite des Friedens, es will sich nicht in den Krieg einmischen, es will einen Kompromiss und einen gerechten Frieden.

Die europäische Medienwelt ist empört, sie manipulieren und drangsalieren ihre Leser im Namen der europäischen Solidarität und des verpflichtenden Gemeinschaftssinns gegen die Ungarn, die wieder einmal „Rosinengucker“ sind.

Verzweifelt flehe ich: Lieber Gott, bitte, bitte, nicht schon wieder.

Autoren: Umweltforscher Balázs Horváth, Historiker Irén Rab

Quelle: Magyar Hírlap

Foto: nyugat.hu