Die Geschichte von Boris Palmer ist auch gut dafür geeignet, zu sehen, was mit denen passiert, die in der westlichen Welt der liberalen Demokratie vom Mainstream und den Parteirichtlinien abweichen.
„Jenseits der grünen Grenze“. Dies war der Titel des vom Ungarisch-Deutschen Institut des MCC für den 5. September angekündigten Vortrags. Ist die Grenze „Small Green“ oder „Big Green“? Wir Ungarn denken sofort an die kleingeschriebene grüne Grenze, Grenzgebiete, die nicht durch Zäune oder Wachen geschützt sind und durch die neuerdings unkontrollierte Migration ins Innere Europas zu dringen versucht. Der grüne Rand in Kleinbuchstaben ist die offizielle Version des Volksausdrucks tökön-pasuzulyon. Großgeschriebenes Grün ist ein Parteiname oder ein ideologisches Bekenntnis, das in unserem Land nicht verwendet wird, obwohl, wenn man sich die innenpolitische Palette ansieht, mindestens 3-4 Kleinstparteien internationale Unterstützung unter dem Titel Grüne Partei erhalten.
Bei der MCC-Veranstaltung gilt der Großbuchstabe Grün, denn geladener Gast ist Boris Palmer, der Oberbürgermeister der überdurchschnittlich kleinen deutschen Stadt Tübingen.
Seit Palmer in die Politik eingestiegen ist, gilt er als stabiler Mann der Grünen.
Nun ja, nicht aus der klassischen 68er-Generation, er war damals noch nicht einmal da. Er stammt aus der mittleren grünen Generation, die nicht nur hier und da an den Universitäten herumschnüffelte, sondern auch die Bänke trug. Er ist zum Beispiel die berühmte Universität Tübingen, wo er auch einen Abschluss machte.
Mit noch nicht einmal dreißig Jahren zog er in den Farben der Partei in den Landtag ein und wurde 2007 zum Oberbürgermeister von Tübingen gewählt.
Von Anfang an gab es Probleme mit ihm, weil er abweichend und unabhängig war, sich in vielen Dingen nicht an die Weisungen der Partei hielt und nicht einmal zu Selbstkritik bereit war.
Die Öffentlichkeit sah daraus erst, dass der Bengel Palmer wieder einmal etwas sagte oder tat, was den Tübinger Universitätsbürgern gefiel. Und sie machen dreißig Prozent der Gesamtbevölkerung der Stadt und mehr als die Hälfte der Wähler aus.
Vielleicht hätte niemand gedacht, dass die Partei Palmers Fehltritte auflisten und dann, wenn er diese bestimmte grüne Grenze überschreitet, eine Untersuchung gegen ihn einleiten würde.
Dies geschah ungefähr gegen Ende seiner zweiten Amtszeit, so dass er seine dritte Amtszeit (ab 2022) als unabhängiger Kandidat abschloss und dabei zehn Prozentpunkte an Popularität verlor, die Stimmen reichten aber immer noch für eine absolute Mehrheit.
Palmers Äußerungen zeichnen das Bild eines Parteimitglieds, „der nach und nach immer mehr von der Ausrichtung der eigenen Partei abweicht und sich zunehmend deren Grundwerten widersetzt“, fasste der Anwalt der Grünen Palmers Verbrechen in seinem Ausschlussantrag zusammen. Ich möchte nur einige der Strafregister hervorheben, damit wir die Fehler erkennen können, die gemacht wurden. Diese mögen uns vertraut sein, ob wir nun an die Liste denken, die für den Ausschluss von Ernő Nemecsek vom Kittverein Pál utca erstellt wurde, oder an die Verbrechen der 1950er Jahre, als kommunistische Überläufer abgeschlachtet wurden.
Das hat zum Beispiel Palmer einmal gesagt
Es ist leichtsinnig, sich mit Fragen wie dem Namen einer Süßigkeit zu befassen.
Wenn es Nigger heißt, dann heißt es auch so. Zeitraum. Allerdings wurde der Negerkuss andernorts durch politische Korrektheit in einen Schokoladenkuss verwandelt und in unserem Land – mangels politischer Korrektheit – sogar eingestellt. Später, bereits während der großen Migrationswelle, forderte Palmer in einem Interview gesetzestreues Verhalten von Asylbewerbern, da seiner Meinung nach ohnehin nicht jeder Anspruch auf Asyl habe.
Darüber hinaus erklärte er, dass die Außengrenzen der Europäischen Union bei Bedarf gewaltsam geschlossen werden sollten.
All dies verstoße nicht nur gegen die Grundprinzipien der Partei, sondern auch gegen das Grundgesetz, so die Grünen. Während der Corona-Zeit öffnete er die Vergnügungsstätten der Stadt, wo ein Schnelltest zum Zutritt genügte.
Das über die Zentraldirektive hinausgehende „Tübinger Modell“ trat in das föderale Wertesystem der gesellschaftlichen Solidarität ein.
Ich werde Palmers Verbrechen nicht weiter aufzählen, auch wenn es noch ein oder zwei weitere saftige Verbrechen gibt, die die Presse nicht einmal zu benennen wagt.
Die Möglichkeit einer Ausgrenzung schwebte Palmer schon länger im Kopf, doch er kam damit nicht durch und verstieß wiederholt mit einem als antisemitisch geltenden Kommentar gegen die Grundsätze der Grünen-Gemeinschaft. Wenn überhaupt, könnte er es schaffen, zumindest in unserem Land, da sein Großvater, Siegfried Kilsheimer, ein Jude war, der 1938 aus Nazi-Deutschland in die Vereinigten Staaten fliehen musste.
Nach seiner antisemitischen Äußerung hielt er es jedoch für das Beste, diese bunte weltenretter-weltfremde Kittgesellschaft freiwillig zu verlassen.
Vergrößern Sie das Problem nicht! sagte der Gardist zu dem Zigeuner, als er ihn dabei ertappte, wie er die Thora las. Zumindest laut dem ungarischen Rassistenwitz. Wir können uns solche Witze leisten, aber Boris Palmer, ein unabhängiger deutscher Stadtverwalter, hat keine Lust, dort aufzutreten, wo er eingeladen wird. In diesem Fall nach Budapest, zum Mathias Corvinus Collegium.
Als der Fall aufgedeckt wurde, eröffneten die gesamte deutsche Presse und seine politischen Gegner das Feuer auf den Bürgermeister.
„Eine von Orbán finanzierte rechte Denkfabrik hat den unabhängigen (!) Palmer gekauft!“ Das MCC vertritt flüchtlingsfeindliche und homophobe Werte, statt Menschlichkeit, Solidarität und gemeinsame Lösungen zu entwickeln, will es Europa spalten. Mit seinem Auftritt in Ungarn erfreut der Tübinger Oberbürgermeister die Rechtsextremen. So kursieren antiungarische Gefühle in der deutschen Presse.
Palmer erklärt, nein, er werde den ungarischen Ministerpräsidenten nicht treffen. Seine dreitägige Reise nach Ungarn dient dem Austausch von Partnerschaftsideen und dem Dialog, beispielsweise der Stärkung der Städtepartnerschaft zwischen Unterjesingen in Tübingen und Iklad im Kreis Pest. Aber niemand bestreitet, dass er tatsächlich auf der Suche nach der politischen Familie ist, die ihn aufnehmen würde.
Palmer erklärt, dass er nach Erhalt der Einladung das Gutachten eines renommierten Tübinger Professors über den Einladenden eingeholt habe und dieser ihm empfohlen habe, diese anzunehmen.
Nun erklärt sich der Professor auch damit, dass er das Mathias Corvinus Collegium mit der Corvinus University verwechselt habe.
Ich weiß nicht, was peinlicher ist, dieses aktuelle Mea Culpa oder die Verwirrung zwischen den beiden Institutionen. Denn aus letzterem lässt sich ablesen, wie gut auch die kompetenten Deutschen über die Verhältnisse in Ungarn Bescheid wissen.
Anhand der Geschichte von Boris Palmer lässt sich auch gut erkennen, wie es in der westlichen Welt der liberalen Demokratie um Meinungsbildung und freie Entscheidungsfreiheit bestellt ist, was mit Abweichlern vom Mainstream und Parteirichtlinien passiert, wie Rufmord funktioniert. Für uns ist das alles ein Déjà-vu, denn es hat eine unheimliche Ähnlichkeit mit der Welt, die wir hier im Osten Europas einst bitter erlebt haben.
Der Autor ist Historiker
Quelle: Magyar Hírlap
Titelbild: Boris Palmer Facebook