Wir wollen das regelbasierte internationale System nicht verteidigen und gleichzeitig alles zerstören, was dieses System im letzten halben Jahrhundert ausgemacht hat.

Radoslaw Sikorski, ehemaliger polnischer Außenminister und heutiges Mitglied des Europäischen Parlaments, hatte Idee Laut Sikorski würde dies die Russen daran hindern, Atomwaffen im Krieg einzusetzen. Hinweis von Robert C. Castel.

Lassen wir mal die Frage beiseite, ob Herr Sikorski wirklich gemeint hat, was er gesagt hat. Lassen wir auch die Frage beiseite, welchen Präzedenzfall ein solcher Schritt im internationalen System schaffen würde. Und natürlich die Frage, ob diese sich schnell entwickelnde multipolare Weltordnung sicherer wäre, wenn alle Atommächte Atomwaffen einsetzen würden, um ihre Handlanger auszulöschen?

Lassen wir das alles beiseite und denken wir eine Minute über die Folgen eines solchen Geschenks an die Ukraine nach!

Während der Jahrzehnte des Kalten Krieges hatten wir gerade genug Zeit, um sorgfältig über die Theorie des Atomkriegs und der nuklearen Abschreckung nachzudenken.

Eine der auffälligsten Lehren aus dem Kalten Krieg ist die folgende:

Die Möglichkeit des sogenannten „First Strike“ macht das System instabil, denn bei einem Wild West Pistolenduell hat jeder nur eine Patrone, dann ist derjenige im Vorteil, der zuerst schießt.

Andererseits macht die Möglichkeit des sogenannten „Second Strike“ das System stabil, da die dem bisherigen Setup innewohnende Versuchung entfällt. Es macht wenig Sinn, zuerst zu schießen, wenn die andere Seite auch bei einem tödlichen Treffer noch die Möglichkeit hat, zurückzuschießen.

Was hat das alles mit der Idee von Herrn Sikorski zu tun?

Das bedeutet es

Die Übergabe einiger Atomsprengköpfe an die Ukrainer würde die Russen nicht nur daran hindern, Atomwaffen gegen die Ukraine einzusetzen, sondern ganz im Gegenteil.

Ausgehend von der Logik des „Erstschlags“ wäre der rationale Schritt Russlands ein präventiver Atomschlag zur Zerstörung der ukrainischen Atomsprengköpfe und der sie unterstützenden Infrastruktur. Auf Ungarisch leckt Kerneis zurück.

Neben der Rationalität wäre es auch völlig moralisch vertretbar, einen Nuklearschlag (Counterforce) gegen Waffen einzusetzen, die die Städte der anderen Seite mit Nuklearladungen bedrohen (Countervalue).

Die einzige Möglichkeit, Herrn Sikorskis Idee rational umzusetzen, besteht darin, Atomwaffen an die Ukraine zu übergeben und gleichzeitig die Möglichkeit eines „zweiten Schlags“ sicherzustellen. In der Praxis würde dies bedeuten, die gesamte nukleare „Triade“ (Luft-, Land- und U-Boot-Assets) zu übergeben.

Diese theoretisch „rationale“ Lösung geht wohl weit über die Grenzen von Sikorskis Rationalität hinaus.

Wir wollen das regelbasierte internationale System nicht verteidigen und gleichzeitig alles zerstören, was dieses System im letzten halben Jahrhundert ausgemacht hat.

Neokohn

Beitragsbild: MAKSIM BLINOV / SPUTNIK / SPUTNIK VIA AF