Mit Zustimmung der Bundesregierung ließ Außenministerin Annalena Baerbock das Bismarck-Gemälde aus dem diplomatischen Sitzungssaal des Ministeriums entfernen. Der Raum, der bisher den Namen des ersten deutschen Außenministers trug, der das Auswärtige Amt gründete, wurde vom Bismarck-Raum in Raum "Deutsche Einheit" umbenannt.

Otto von Bismarck (1815–1898) ist einer der prominentesten europäischen Staatsmänner des 19. Jahrhunderts, vielleicht die ikonischste Figur der deutschen Geschichte. Es gibt kein Dorf oder keine Stadt, in der nicht eine Statue oder ein Denkmal für den Eisernen Kanzler errichtet wurde, in der nicht eine Straße, ein Platz oder ein Gebäude nach ihm benannt ist. Weil er Deutschland groß gemacht hat, hat er durch die Vereinigung der vielen Kleinstaaten das zweite Deutsche Kaiserreich geschaffen, die wirtschaftlich und militärisch geeinte deutsche Großmacht. Notfalls sogar mit Blut und Eisen, mit Kriegen. Die Kolonie wuchs zu einem prestigeträchtigen Imperium heran, so dass sie, dem Zeitgeist folgend, zweieinhalb Millionen Quadratkilometer unkolonisiertes Territorium auf der Welt besetzten. Was die Engländer und Franzosen ihnen hinterlassen haben. Sie betraten Ost- und Westafrika und sogar das Land der Papuas, wo der Archipel und das Meer noch immer Bismarcks Namen tragen.

Die Rationalisierung des öffentlichen und des Hochschulwesens, die Einführung der Sozial- und Rentenversicherung, eine Reihe von Reformen und eine fruchtbare Außenpolitik sind das Verdienst Bismarcks. Die Nachwelt erinnerte sich seiner in Dankbarkeit. Bis jetzt. Denn seit die progressiven Bewegungen (#Metoo, Woke, Cancel Culture, LGBTQ+) in Deutschland auftauchten, ist der konsequente, strenge und ordnungsfreundliche Imperiumsorganisator unterwegs. Es stellte sich heraus, was wir immer vermuteten, dass Bismarck eine weiße, christliche, männlich-chauvinistische Figur war und seine Junker-Herkunft heutzutage kein gutes Empfehlungsschreiben ist. Politische Distanzierung vom Geist des Eisernen Kanzlers gibt es schon lange, das heutige Deutschland kann Bismarcks Politik nicht zustimmen, man hat seine Präsenz im kollektiven Gedächtnis nur aus Tradition geduldet. Seine Vorzüge müssen überprüft werden! Und jetzt wird untersucht, zum Beispiel in Hamburg, wo eine doppelt so große Bismarck-Statue wie die ehemalige Stalin-Statue in Budapest der dortigen rot-grünen Stadtregierung im Weg steht. Glücklicherweise ist die Statue so riesig, dass sie kaum bewegt werden kann.

Bei Gemälden zum Beispiel ist die Situation viel einfacher. Vor rund drei Jahren lud die Frau des sozialistischen Staatsministers der Regierung Merkel ihre Freundinnen zu einer Party ins Außenministerium ein. Sie gingen den Korridor entlang, und die Bilder ehemaliger männlicher Außenminister und Staatsmänner starrten sie von den Wänden an, vielleicht ein wenig arrogant, mit einem Lächeln, das auf Frauen herabblickte. Alle Männer! Die Dominanz der Männer in der Diplomatie müsse abgeschafft, die Frauenquote eingeführt werden, sagte die Politikerin in ihrem Trinkspruch. Wir haben noch viel vor!

Und nun dürfen wir uns über die erste deutsche Außenministerin freuen, die grüne Sprungbrettmeisterin Annalena Baerbock. Er war sehr irritiert darüber, dass der große Sitzungssaal des Ministeriums, den er in Berlin jeden Tag aufsuchen musste, Bismarckzimmer hieß. Außerdem steht ihm gegenüber das Gemälde des Eisernen Kanzlers, und als er von seinem Laptop aufblickt, trifft sein Blick auf den strengen, fordernden Blick seines großen Vorgängers. Also ließ er mit dem grenzenlosen Selbstbewusstsein der Generation X das Porträt entfernen und den Raum in „Raum der Deutschen Einheit“ umbenennen. Baerbock bereitet so etwas überhaupt kein Problem, das fünfhundert Jahre alte Kreuz hat er bereits aus dem Rathaussaal von Münster entfernt, um die G7-Teilnehmer nicht zu stören.

Doch vor Bismarck sollte Annalena Baerbock nicht so viel Angst haben, denn auch der Eiserne Kanzler war einmal jung. Er liebte Frauen, er liebte die Gesellschaft guter Männer und das gemeinsame Trinken. In seinem Alter galt er als recht widerspenstiger junger Mann. Er studierte drei Semester Jura an der Universität Göttingen und war häufiger Besucher des karcer, also des Universitätsgefängnisses, wo zeitweise störende Studenten eingesperrt wurden. Dank Bismarck ist das Gefängnis heute eine der meistbesuchten Gedenkstätten der Stadt, sein fröhliches Gesicht in einer Studentenmütze hallt von der weiß getünchten Wand des Studentenheims wider. Dem lokalen Kollektivgedächtnis zufolge ritt er einmal nach einer durchzechten Nacht nackt wie eine Wette durch Göttingen. Damit kam er nicht mehr durch einfaches Einsperren davon, er bekam Hausverbot. Danach mietete er sich außerhalb der Stadtmauern ein Haus, heute ist es das örtliche Bismarck-Gedenkmuseum. Bisher war Göttingen sehr stolz auf seinen berühmtesten Schüler, zwei Aussichtstürme wurden ihm zu Ehren errichtet. Wenn die Kultur der Anti-Bismarck-Abolitionisten ihren Kopf in der Stadt erhebt, wie werden die Einheimischen reagieren?

Weil der Ball jetzt in Deutschland liegt, protestiert jeder vernünftige Deutsche gegen die Absetzung Bismarcks. Schließlich ist Bismarck für sie das, was István Széchenyi für uns ist. Obwohl, wenn ich mich recht erinnere, die Österreicher und die Kommunisten selbst den größten Ungarn vergessen wollten. Genauso wie die Roten ignorieren nun auch die Grünen die Geschichte und kämpfen gegen alles, was nicht in ihr eigenes Weltbild passt. Oder wie es die Familie Bismarck ausdrückt: Sie haben keine Ahnung von der deutschen Geschichte.

Während der Welle der Empörung kam vieles ans Licht. Etwa der rot-rot-grüne – derzeit wegen einer Serie von Wahlfälschungen unzulässige – Entwurf des Berliner Senats zur Umbenennung von Straßen. Die Umbenennung von Hunderten von Straßen steht auf der Tagesordnung, entweder weil der Namensgeber in irgendeiner Weise mit dem deutschen Imperialismus, dem Nazismus verbunden ist, oder weil es nicht dem Geist der erwachten Ideologie entspricht. In jüngerer Zeit sind die nach den großen Russen benannten Straßennamen auch denjenigen aufgefallen, die sich Sorgen um die ukrainische Freiheit machen.

Déjà vu, ähnliches haben wir hier im Karpatenbecken schon erlebt. Es gab klangvolle Parolen, es gab Statuenentfernungen, Straßen- und Anstaltsumbenennungen, Namenszeremonien statt Taufen, Tannenfeste statt Weihnachten. Es gab identitätsbasierte Stigmatisierung, Erpressung, Beschlagnahme von Eigentum und Vertreibung. Die ideologische Vergewaltigung eines Volkes und der Versuch, seine Kultur zu zerstören. Erst dann wird die Ideologie in Rot gehüllt, jetzt in Grün.

Quelle: Magyar Hírlap

Autor: Historiker Irén Rab

Titelbild: Bismarck-Denkmal in Hamburg / Foto: DPA