Der Schritt sei nicht völlig unerwartet, mehrere Vorzeichen deuteten darauf hin, betont Bálint Somkuti, Experte für Sicherheitspolitik, Militärhistoriker und Forscher beim MCC Geopolitics Workshop.
Am Sonntagabend, wenige Minuten nach neun Uhr ungarischer Zeit, gab die Ukrainska Prawda bekannt, dass Präsident Selenskyj die Abberufung von Verteidigungsminister Oleksiy Reznykov aus der Werchowna Rada, also dem ukrainischen Parlament, eingeleitet habe. Gleichzeitig schlug er seinen Nachfolger in der Person von Rustem Umerov vor, dem derzeitigen Leiter der ukrainischen Staatsvermögensverwaltung.
In dem seit 550 Tagen andauernden Krieg brauche das Ministerium „eine neue Herangehensweise und andere Formen der Zusammenarbeit mit den Streitkräften und der Gesellschaft“, heißt es in der Begründung. Abschließend fügte Selenskyj hinzu: „Ich erwarte, dass das Parlament den Kandidaten unterstützen wird.“ Der Herbst ist eine Zeit der Stärkung.“
Die Nachricht an sich ist nicht überraschend, da Gerüchte über einen Abgang Reznykovs bereits seit Längerem kursieren und der Betroffene selbst Ende August erklärt hat, dass er mit dem Präsidenten die Möglichkeit eines Wechsels auf eine andere Position besprochen habe, aber die Entscheidung fiel hängt von Selenskyj selbst ab.
Nun, diese Entscheidung ist nun gefallen. Wo Reznykov weitermachen wird, ist noch nicht bekannt. Berichten zufolge soll er Botschafter in London werden, diese wichtige Position ist seit dem 23. Juli dieses Jahres vakant.
Wir können nur versuchen, mit den Methoden der Kremlologie des Kalten Krieges Rückschlüsse auf das Geschehen hinter den Kulissen und auf die Prozesse zu ziehen, die in (zu Recht) geschlossenen Systemen ablaufen. Aus Gerüchten, Entscheidungen und persönlichem Austausch. Der erste bedenkenswerte Punkt ist ein Artikel, der Anfang August in Politico veröffentlicht wurde. Obwohl der Artikel die Situation nach einer möglichen russischen Ermordung von Präsident Selenskyj thematisiert, haben wir nicht nur in Russland seltsame Todesfälle erlebt.
Dem Portal zufolge würde ein Attentat gegen den ukrainischen Präsidenten eher für Verunsicherung bei den Verbündeten sorgen und nicht in der Ukraine.
In jedem Fall würde gemäß der ukrainischen Verfassung im Falle des Todes des Präsidenten der Parlamentspräsident seinen Platz einnehmen. Interessanterweise stellt der in dem Artikel erwähnte Experte des Atlantic Council fest, dass man sich anstelle des eher unpopulären Politikers lieber eine kollektive Führung unter aktiver Beteiligung des Präsidentenbüroleiters Andriy Jermak, des Außenministers Dmitro Kuleba und des Verteidigungsministers Oleksiy Reznykov sähe.
Die Frage ist, wie sich die obige Formel mit dem Abgang des letztgenannten Ministers, der seit Kriegsbeginn regiert, ändern wird.
Der zweite Aspekt ist das immer wiederkehrende Thema Korruption.
Die ukrainische Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft und das Nationale Anti-Korruptions-Büro liefern sich einen immer stärker werdenden Kampf mit den militärischen und zivilen Geheimdiensten über das Problem, das das Land durchdringt, und gegeneinander.
Kürzlich wurden beispielsweise alle (!) Leiter von Personalvermittlungsbüros wegen Korruption entlassen. Allerdings ist dies in einem von Bestechung durchdrungenen Land viel mehr nur ein offensichtlicher Grund als ein tatsächlicher Versuch, mit der Situation umzugehen. Auf dieser Grundlage ist es möglich, dass die CIA eingegriffen hat, da den Nachrichten zufolge ein erheblicher Teil der transferierten Waffen und militärischen Ausrüstung nicht einmal die Front erreicht.
Der dritte Aspekt besteht darin, dass für die Position des Botschafters in Großbritannien, das als wichtigster europäischer Unterstützer der Ukraine gilt, dringend jemand benötigt wurde, der die Briten aus erster Hand über die Situation informieren konnte. In diesem Fall ist (auch) die bisherige Position des Nachfolgers interessant.
Und schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass der Verteidigungsminister Opfer der „Erfolge“ der angekündigten und dann immer wieder verschobenen Offensive wurde.
Aber machen wir uns nichts vor, denn wenn man weiß, wie die ukrainische Führung bisher gearbeitet hat, ist die Chance hier am geringsten!
Es bleibt jedenfalls abzuwarten, welcher Wind welche Veränderungen bewirkt hat. Wie in so vielen Fällen müssen wir warten, bis wir das vollständige (weitere) Bild sehen. Was auch immer Zelenskys Aussage über die Sturzverstärkung bedeutet.