Der in den Westen „übergelaufene“ Rockmusiker schreibt, da er damals noch kein Wort Deutsch sprach, sei es für ihn zunächst einmal gewesen, in jeder freien Minute Deutsch zu lernen.
„Meine Liebe zu „meinem Deutschland“ veranlasst mich, hier einige Gedanken aus der Sicht eines ehemaligen illegalen Einwanderers niederzuschreiben und als Künstler einfach lautstark zu bleiben“, schreibt Leslie Mandoki, alias László Mándoki, laut dem Focus-Bericht von Mandier, der im Folgenden beschrieben wird:
1975, im Alter von 22 Jahren, wagte ich zusammen mit zwei meiner Künstlerfreunde trotz des Schießbefehls die Flucht durch den Karawankentunnel in den Westen. Wir wollten die dysfunktionale ungarische Gesellschaft unter russischer Besatzung hinter uns lassen, militant, mit nur einer „lizenzierten“, aber öffentlich akzeptierten sozialistischen Einheitsmeinung, und kamen schließlich nach Deutschland.
Für uns war es das Paradies. Deutschland.
Ein Land, das den Erfolg liebte!
Es gab nicht nur Zeitpläne, sondern diese wurden auch genau eingehalten.
Ich beantragte Asyl und konnte bald darauf über den Künstlerservice des Arbeitsamtes als Musiker am Schwäbischen Staatstheater auftreten. Zwischen der illegalen Einwanderung an der grünen Grenze, der Einreichung eines Asylantrags und der ersten Beteiligung an der gesellschaftlichen Wertschöpfung sowie der Möglichkeit zur Selbstbestimmung vergingen nur wenige Wochen.
Für mich war es wie der Beginn eines neuen Lebens. Nichts motiviert und integriert Menschen besser, als sich zu engagieren, zusammenzuarbeiten und Teil der Gesellschaft zu werden.
Aus eigener Erfahrung bin ich davon überzeugt, dass Integration in der Verantwortung der Einwanderer liegt.
Da ich damals noch kein Wort Deutsch sprach, war es für mich an erster Stelle, in jeder freien Minute Deutsch zu lernen. In der Mitte meines Schreibtisches lag ein großes Wörterbuch, rechts die Frankfurter Allgemeine Zeitung, links die Süddeutsche. Einig waren sich die beiden Zeitungen damals nur beim Wetterbericht und der Fernsehsendung. Zu jedem anderen Thema vertraten sie widersprüchliche Positionen.
Damals war die journalistische Unterscheidung zwischen Tatsache und Meinung noch sehr klar. Im Gegensatz zum heutigen Hybridjournalismus finden wir oft scheinbare Fakten, die in Wirklichkeit Meinungen sind.
Auf jeden Fall habe ich diesen wunderbaren Pluralismus gefeiert, der im krassen Gegensatz zum von den Russen besetzten Ungarn stand,
wo Zensur fast unnötig war, weil alle Journalisten ohnehin nur ein und denselben Mainstream schrieben, der den Anforderungen des Einparteiensystems entsprach.
Hier in Deutschland Mitte der 1970er Jahre war es für mich eine wunderbare Erfahrung, kontroverse politische Debatten mit unterschiedlichen Ansichten zu führen. Menschen waren nicht deshalb „Gegner“, weil sie völlig unterschiedliche Meinungen hatten, sondern einfach, weil sie nicht die gleiche Ansicht vertraten.
Diese intensiven Debatten und der Austausch von Argumenten führten zu einem Wissenszuwachs und förderten das gegenseitige Verständnis.
Es war anders als heute, ganz zu schweigen von der Hassrede in den sozialen Medien, über die ich das Lied „Devil's Encyclopaedia“ geschrieben habe.
Ich habe mich in diese deutsche Friedfertigkeit und diesen Pazifismus verliebt, habe begeistert an den Osterparaden teilgenommen und war später glücklich über den Pazifismus der Grünen.
Meine Hymne war „Wozu sind Kriege da“ von meinem Seelenverwandten Udo Lindenberg. Ich konnte tiefe Wurzeln schlagen, weil ich endlich die Freiheit hatte, mein Leben zu gestalten.
Titelbild: Leslie Mandoki, in Deutschland lebende Musikerin und Produzentin.
Quelle: MTI/Lajos Soós